Kiffen

Interview mit einem Ex-Kiffer und Suchtberater

Das folgende Gespräch habe ich mit meinem ehemaligen Mitarbeiter und Kollegen Jürgen Möllmann geführt, der in meiner Praxis einige Jahre die Suchtberatung verantwortet hat.

Wie findest du eigentlich die Legalisierung von Cannabis, die seit dem 1. April dieses Jahres in Deutschland in Kraft getreten ist?

Im Vergleich zum legalen Zugang zur Droge Alkohol finde ich, dass es wirklich an der Zeit ist, diesen Schritt zu gehen und die beiden Suchtstoffe in dieser Hinsicht gleichzustellen. Die Entkriminalisierung des Konsums und vor allen Dingen auch der Beschaffung kann den oft wirklich problematischen Kontakt in kriminelle Milieus verhindern.

Außerdem finde ich es wichtig, dass der THC-Gehalt in der Ware überwacht und das Risiko der Überdosierung (z.B. mehr als 15 oder 20%) nicht mehr vorkommt.

Was glaubst du, was sich dadurch konkret ändern wird?

Ich schätze, dass es eine Übergangsphase geben wird, in der mehr Menschen die Substanz ausprobieren und wir in der Öffentlichkeit auch mehr davon sehen und riechen, etwa vor Kneipen. Danach wird es eine neue Normalität geben. Wie der Alltag dann genau aussehen wird, kann ich mir noch nicht richtig vorstellen; viele Reglementierungen kommen mir allerdings ziemlich weltfremd vor. Ich würde unbedingt für praktikable Regeln plädieren.

Wir werden, ganz simpel, eine Gesellschaft haben, in der eben auch öffentlich gekifft werden darf und wird.

Was würdest du – auch wenn du den Schritt grundsätzlich befürwortest – kritisch anmerken wollen?

Die Präsenz eines weiteren Suchtmittels im Alltag wird auch zu mehr Missbrauch und Sucht führen, das scheint mir klar. Das ist nicht anders als beim Suchtmittel Alkohol. In der Regel wird das Suchtmittel ja konsumiert, weil eine Wirkung erwartet wird. Es gibt in unserer Gesellschaft leider keine Einführung in den verantwortungsvollen Umgang mit Suchtmitteln und ihren Wirkungen. Angesteuert und in Kauf genommen wird sehr häufig ganz einfach der Exzess; das kann man zum Beispiel auf jedem Schützenfest beobachten.

Ich befürworte also unbedingt Aufklärung und sozusagen eine Anleitung zum kultivierten Umgang mit potentiell süchtigmachenden Drogen.

Wann hast du denn damals den ersten Joint geraucht?

Das muss 1971 oder 1972 gewesen sein; ich war also um die 14 Jahre alt.

Wie bist du dazu gekommen? Was fandest du daran attraktiv?

Es fing mit der Raucherecke der Oberstufenschüler auf dem Schulhof des Gymnasiums an. Die langhaarigen Typen mit den Parkas und den Mopeds fanden wir cool. Wir wollten unbedingt auch zu denen gehören. Zuerst waren wir also verbotenerweise Raucher – was wir allerdings auch erst üben mussten, denn natürlich waren die Kippen selbstgedreht. Das war sozusagen der handwerkliche Vorkurs zum Jointbauen.

In dieser Raucherecke wurde irgendwann auch Haschisch angeboten. Mein Freund hat das probiert, fand die Wirkung gut, nicht aber, dass andere aus seinem Konsum einen Profit machten. Da er erheblich älter aussah, als er war, ist es ihm schnell gelungen, selbst in Holland einzukaufen – natürlich nicht nur für den Eigenbedarf. Und da ich sein vertrauensvoller bester Freund war, wurde ich vorübergehend der Verwalter seines Drogenvorrats. Erst als mir Cannabis somit gefahrlos zur Verfügung stand, habe ich es probiert. Das war ein sehr großer Unterschied zwischen mir und meinem Freund: Er war waghalsig und bedenkenlos – ich hatte mehr Angst vor dem Unbekannten; er war exzessiv im Gebrauch jeglicher Droge (auch schon des Tabaks) – mir wäre zum Beispiel auch damals schon die beruhigende Wirkung des einen Joints genug gewesen, aber diese Vernunft war ja bei mir als Pubertierendem auch nicht vorhanden. Ein Joint am Wochenende (wie später in Erwachsenenjahren) hätte mich z.B. nicht vom Lernen für die Schule abgehalten.

Weißt du noch, wie du dich nach dem ersten Joint gefühlt hast?

Ja, es war direkt sehr angenehm und beruhigend. Ich habe mich wirklich sehr gut gefühlt, total entspannt.

Welche Nebeneffekte hatte das denn?

Da die Wirkung so positiv war, wollte ich diese Droge natürlich in mein Leben integrieren. Die Beschaffung war kein Problem, denn Holland war nah, und ich kannte immer mehr Leute, die auch konsumierten und selbst einkauften. Somit konnte ich sehr regelmäßig kiffen, ohne Beschaffungsstress zu haben. Allerdings wurde im Kreis der Mitkiffer nicht nur Cannabis konsumiert, sondern auch z.B. LSD und Heroin, ganz abgesehen mal vom Alkohol, den ich vorher nicht getrunken habe. Das sehe ich heute als sehr gefährlich und problematisch an: Die Illegalität hat alle und alles zusammengebracht.

Ein anderer Nebeneffekt war, dass das angenehm-entspannte Gefühl auch Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit erzeugt hat. So habe ich etwa die Schule überhaupt nicht mehr wichtig genommen und die entsprechende Quittung bekommen: bin nicht versetzt worden, habe mich um Nachprüfungen nicht gekümmert, habe mich nach der Mittelstufe vom Gymnasium abgemeldet.

Was war dein extremstes Rauscherlebnis mit Cannabis?

Das hatte ich mit 22 Jahren in Marokko. Ich habe mich für einen sehr erfahrenen Kiffer gehalten, denn ich war ja schon seit Jahren im Training mit Stoff aus Holland. Beim Urlaub in Portugal wollten wir kurz mal im Cannabis-Land Marokko vorbeischauen. Das dortige Haschisch hatte allerdings eine so ungewohnte Reinheit, dass ich für ca. 24 Stunden außer Gefecht gesetzt war. Eine klare Überdosierung für mich; daran war ich nicht gewöhnt.

Was findest du in der Rückschau und mit heutigem Wissen am problematischsten an deinem Cannabiskonsum?

In jugendlichem Alter mit dem Kiffen anzufangen, war ganz bestimmt schlecht, weil wir nicht in der Lage waren, Gefahren abzuschätzen, Grenzen einzuhalten und Missbrauch zu erkennen. Das ist für Jugendliche allerdings normal. Richtig problematisch war aber, dass auch niemand von den Erwachsenen in unserem Umfeld unser Treiben begrenzt hat, ganz zu schweigen davon, dass jemand uns aufklären konnte über Wirkungen und Folgen.

Kannst du dir vorstellen, wie es gewesen wäre, wenn du bzw. ihr damals legal an Marihuana oder Haschisch gekommen wäret?

In unserem damaligen Einstiegsalter wäre es ja auch mit der jetzigen Regelung illegaler Konsum gewesen. Wir wären lediglich ohne irgendeinen Grenzschmuggel an die Ware gekommen. Irgendjemandes älterer Bruder oder Freund hätte sicher über unser jugendliches Alter hinweggesehen.

Ansonsten möchte ich hier gar nicht weiter spekulieren. Wir werden in der Zukunft sehen, wie sich die Legalisierung auf den Cannabis-Konsum von Jugendlichen auswirkt.

Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus kann ich allerdings sagen, dass der Schutz der Jugendlichen vor dem schädlichen Gebrauch von Substanzen (Nikotin, Cannabis, Alkohol etc.) nur gelingen kann, wenn die Einhaltung der existierenden Verbote auch wirklich kontrolliert wird. Duldung und Wegschauen hilft den jungen Menschen heute genauso wenig wie mir damals.

Wenn du an deinen kleinen Enkel denkst und dir vorstellst, er würde – wie du – als Pubertierender auf die Idee kommen, das Kiffen auszuprobieren, was kommt dir dann spontan in den Sinn?

Da hoffe ich sehr, dass mein Kontakt zu meinem Enkel so vertrauensvoll sein wird, dass er mir davon erzählt und ich die Gelegenheit hätte, ihm von meinen Erfahrungen zu berichten. Ich wäre gerne so ein Erwachsener für ihn, wie ich ihn damals gebraucht hätte.

Wenn du erziehungsberechtigt wärest, was würdest du konkret tun?

Ich würde ihm klarmachen, dass er etwas Illegales vorhat, das ich nicht billige. Gleichzeitig würde ich mit ihm über vernünftige Regeln sprechen. Dem vorgeschaltet ist aber doch in aller Regel das Rauchen! Mein Enkel müsste ja zuerst mit dem Rauchen beginnen, um überhaupt kiffen zu können, zumindest so, wie ich es kenne. Da hätten wir doch vorher schon ein Sucht-Thema. Die Nikotinabhängigkeit ist ja viel extremer und dazu unglaublich gesundheitsschädlich! Davor würde ich ihn bewahren wollen. Mein Credo wäre also eher: Lass das Kiffen sein, denn damit holst du dir die Nikotinsucht ins Leben! Oder aber: Lass das Rauchen sein, dann kommt das Kiffen für dich sowieso nicht in Frage.

Welche allgemeine Haltung dem Konsum von Cannabis gegenüber fändest du angemessen?

Ich finde es erst mal gut, dass die Legalisierung die willkürliche Verteufelung eines Suchtstoffes beendet. Es geht um verantwortungsvollen Umgang mit psychoaktiven Substanzen im allgemeinen, Alkohol eingeschlossen. Das gelingt vielen Menschen – und anderen nicht.

Was wünschst du dir von den Konsument:innen und was von den Nichtkonsument:innen?

Ich wünsche mir von den Erwachsenen auf beiden Seiten Akzeptanz der jeweiligen Entscheidung für oder gegen den Gebrauch der Droge und die Einhaltung der installierten Regeln. Über den wichtigen Schutz von Kindern und Jugendlichen habe ich ja bereits geredet. Aufklärung und offene Kommunikation über Gebrauch und Wirkung sind zudem total wichtige flankierende Maßnahmen bei der ernstgemeinten Durchsetzung der gesetzlichen Verbote.